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Dienstag, den 23. Juni 2015 um 14:36 Uhr

Cleverer Propellertausch bei Meeresbakterien

Bakterien der Roseobacter-Gruppe sind erfolgreiche Erstbesiedler von Oberflächen und gelten als Schlüsselorganismen des marinen Ökosystems. Sie verfügen über einen ungewöhnlich vielfältigen Stoffwechsel und effiziente Überlebensstrategien. Die Meeresbakterien können wichtige genetische Eigenschaften wie die Fähigkeit zur Fotosynthese oder Biofilm-Bildung durch plasmidvermittelten Gen-Transfer über die Artgrenze hinweg austauschen. Wissenschaftler am Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH konnten jetzt für den Roseobacter-Vertreter Marinovum algicola exemplarisch zeigen, dass sogar funktionelle Flagellen über sogenannte Chromide unabhängig vom Bakterienchromosom vererbt und ausgetauscht werden. Der horizontale Transfer kompletter Gencluster erlaubt eine schnelle und flexible Anpassung an neue Lebensräume. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden gerade in der Zeitschrift Environmental Microbiology veröffentlicht und sind online verfügbar.

Meeresbakterien der Roseobacter-Gruppe sind von globaler Bedeutung für die Ökologie der Weltmeere. Ein vielfältiger Stoffwechsel und interessante Anpassungsstrategien machen die Bakterien zum wichtigen Forschungsgegenstand. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts DSMZ untersuchen die Ursachen des ökologischen Erfolges dieser Bakteriengruppe seit 2010 in einem multidisziplinären Expertenteam im Transregio Sonderforschungsbereich (TRR51) „Roseobacter“.

„Marine Roseobacter gehören zu den ersten Besiedlern von Oberflächen, die sich erst kurze Zeit im Meer befinden“, sagt PD Dr. Jörn Petersen, Genetiker und Evolutionsbiologe an der DSMZ. „Die Bakterien sind durch ihre Flagellen beweglich, können sich somit anheften und bilden auf überflutetem Gestein, Holzstegen und den hochproduktiven Kelp-Wäldern Biofilme. Nachbarschaftliche Konkurrenz halten Roseobacter, wie etwa Phaeobacter inhibens, durch die Bildung eines Antibiotikums in Schach.“
Das Team um Dr. Jörn Petersen und Dr. Silke Pradella hat bereits in früheren Arbeiten gezeigt, dass Vertreter dieser Bakteriengruppe wichtige genetische Eigenschaften, wie z.B. die Fähigkeit zur Fotosynthese, untereinander austauschen können. Dieser horizontale Transfer über die Artgrenze hinweg erfolgt über Plasmide, ringförmige DNA-Moleküle mit einer Größe von bis zu 1 Million Basenpaaren, die sich unabhängig vom Bakterienchromosom vervielfältigen.

Die jüngsten Forschungsarbeiten an der DSMZ deuten nun auf eine weitere wichtige Anpassungsstrategie innerhalb der Roseobacter-Gruppe hin. Das Bakterium Marinovum algicola wurde im Jahr 2003 von einem einzelligen toxischen Dinoflagellaten aus dem Gelben Meer isoliert.
„Bei der Genomsequenzierung von Marinovum fiel uns seine ungewöhnliche genetische Organisation auf“, sagt Jörn Petersen. „Das gesamte Genom ist auf insgesamt zwölf genetische Einheiten - ein Chromosom, drei Plasmide und acht sogenannte „Chromide“ - aufgeteilt. Chromide enthalten wichtige Gene und sind im Gegensatz zu Plasmiden dem Bakterienchromosom auf genetischer Ebene sehr ähnlich.“

Oliver Frank, Doktorand im Team von Jörn Petersen, fand bei seinen Arbeiten heraus, dass die Gene für die Anheftung des Bakteriums an Oberflächen sowie ein komplettes Gencluster mit über vierzig Genen für die Ausbildung des bakteriellen Flagellums auf zwei solcher Chromide liegen. Nach dem gezielten Entfernen dieser extrachromosomalen Elemente konnten die sogenannten „Curing-Mutanten“ keine Biofilme mehr bilden, beziehungsweise waren durch den Flagellen-Verlust unbeweglich.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der bioinformatischen Analysen war, dass aufgrund der kompakten Anordnung der Flagellen-Gene in einem Cluster, welches für die Roseobacter-Gruppe typisch ist, auch so komplexe Strukturen wie funktionelle Flagellen mit Hilfe von Chromiden horizontal übertragen werden können.
„Früher ging man davon aus, dass Bakterien einfache, unstrukturierte Säcke mit Enzymen sind. Die zuverlässige Aufteilung von zwölf genetischen Einheiten bei der Zellteilung von Marinovum algicola erfordert allerdings eine regulatorische Komplexität, die mit der Mitose in Eukaryoten vergleichbar ist“, betont Petersen. “Wir vermuten darüber hinaus, dass die extrachromosomale Lokalisation des Flagellengenclusters für die charakteristische Ausbildung des Flagellums am Zellpol verantwortlich ist, da die Chromide dort nach der Zellteilung angeheftet werden. Diese Hypothese wollen wir in weiteren Forschungsarbeiten zellbiologisch überprüfen.“
Ausgehend von den neuen Erkenntnissen zur Beweglichkeit und Oberflächenanheftung untersucht die Arbeitsgruppe derzeit die Verbreitung und die globale Bedeutung von Biofilm-Plasmiden für die Roseobacter-Gruppe.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.dsmz.de/home/details/entry/cleverer-propellerta.html

Quelle: Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH (06/2015)


Publikation:
Frank O, Göker M, Pradella S, Petersen J. (2015). Ocean's twelve: Flagellar and biofilm chromids in the multipartite genome of Marinovum algicola DG898 exemplify functional compartmentalization. Environmental Microbiology [Epub ahead of print]. doi: 10.1111/1462-2920.12947.

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