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Donnerstag, den 04. Juni 2015 um 07:33 Uhr

Aus dem Innern einer Eierschale

Winzige Bläschen im Innern von Eierschalen liefern die Stoffe, die das Wachstum der Schale stimulieren und steuern. Mit einer neuartigen Tomografie-Technik haben Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI, der ETH Zürich und des niederländischen AMOLF-Instituts diese Bläschen erstmals in 3D abbilden können. Sie heben damit eine alte Einschränkung tomografischer Bilder auf und hoffen, dass eines Tages auch die Medizin von ihrer Methode profitiert.

Forschende des Paul Scherrer Instituts, der ETH Zürich und des AMOLF-Instituts in den Niederlanden haben eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, mithilfe von Röntgenlicht hochaufgelöste 3D-Bilder von Ausschnitten eines Gegenstandes zu erstellen. Sie konnten damit ein Netzwerk Nanometer-kleiner Bläschen in der Schale eines Hühnereis auflösen, von denen man sonst nur zweidimensionale Bilder hatte. Die Röntgenaufnahmen entstanden an der Strahllinie cSAXS der Synchrotron-Lichtquelle Schweiz (SLS) am PSI. Die Eierschale dient heranwachsenden Küken nicht nur als Schutz vor der harschen Aussenwelt. Sie speichert auch Kalzium, das die Küken für ihr Wachstum brauchen. Und sie ist durchlässig für Luft, damit die Embryonen auch atmen können. Die Aussenluft tritt durch Mikrometer kleine Poren in der Struktur der Eierschale hindurch. Noch kleiner als diese Poren sind die Bläschen (Vesikel), die die Stoffe freisetzen, die das Wachstum der Schale steuern. Sowohl die Poren zur Atmung als auch diese Bläschen sind in einer Matrix eingebettet, die hauptsächlich aus dem Mineral Biokalzit (Kalziumcarbonat) besteht.

Eine Lösung für ein altes Problem der Tomografie

Dank einer neuen tomografischen Technik konnten Wissenschaftler um Manuel Guizar-Sicairos vom PSI nun zum ersten Mal die Nanometer-kleinen Bläschen in der Eierschale räumlich, d.h. in drei Dimensionen sichtbar machen. Diese Bläschen hatte man bisher nur mithilfe von Elektronenmikroskopen auflösen können, dies waren aber zweidimensionale Bilder. Die Forschenden erstellten nun mit hoch brillantem Röntgenlicht aus der Synchrotron-Lichtquelle Schweiz (SLS) am PSI ein hochaufgelöstes 3D-Bild des Bläschennetzwerkes in einem kleinen Ausschnitt der Eierschale, der ungefähr so gross war wie die Breite eines menschlichen Haares. Sie konnten nicht nur die Bläschen in Nanometerauflösung abbilden, sondern auch quantitative Information gewinnen, und zwar über die Dichte des umliegenden Materials. Die Bestimmung der Dichte bestätigte, dass es sich bei diesem Material wie erwartet um Kalzit handelte. Mit diesen Ergebnissen umgehen die Autoren der Arbeit ein altes Problem der Tomografie: Bei diesen 3D-Bildern war es bisher unmöglich, einen Ausschnitt eines abgebildeten Gegenstands „heranzuzoomen“, ohne dabei an Auflösung und quantitativem Informationsgehalt zu verlieren.

Schärfe dank unscharfem Übersichtsbild

Die Wurzel des Problems liegt in der Art und Weise, wie diese Tomografiebilder entstehen. Der abzubildende Gegenstand muss aus vielen verschiedenen Richtungen mit Röntgenlicht beleuchtet werden; dazu wird er um eine Achse senkrecht zum Röntgenstrahl gedreht. Ein Detektor, der dahinter platziert ist, zeichnet das vom Gegenstand veränderte Röntgenlicht zweidimensional auf. Aus diesen 2D-Bildern, die jeweils ein Muster aus hellen und dunklen Bereichen bilden, rekonstruiert man dann am Computer ein 3D-Bild des Gegenstandes.

Möchte man nun ein 3D-Bild eines Ausschnitts aus dem Innern dieses Gegenstands erstellen – also praktisch den Ausschnitt heranzoomen –, dann leidet die Bildqualität. Das Problem kommt daher, dass beim Beleuchten des Ausschnitts Teile seiner Umgebung nicht mitbelichtet werden. Dieser Informationsverlust erschwert die spätere Bild-Rekonstruktion am Computer, da die Rekonstruktionsprogramme diese Information über die Umgebung benötigen, um quantitative Information über den Ausschnitt zu gewinnen.

Im Umkehrschluss heisst das: Um den Ausschnitt mit hohem Detailreichtum abzubilden, muss man praktisch den gesamten Gegenstand stark beleuchten. Und das bedeutet wiederum viel Zeit und eine unerwünscht hohe Strahlungsbelastung des abzubildenden Objekts. Es ist, als ob man den gesamten Kopf eines Menschen stark beleuchten müsste, obwohl man nur ein scharfes Bild der Nase möchte. Die Frage, mit der sich Tomografie-Experten seit Langem herumschlagen, lautet: Wie kann man den Ausschnitt möglichst detailreich und dabei schnell und mit möglichst geringer Strahlungsdosis für dessen Umgebung abbilden? Oder, um beim Vergleich zu bleiben: Wie kann man die Nase scharf abbilden, ohne den ganzen Kopf stark zu beleuchten? Nun hat das Forscherteam um Guizar-Sicairos die Antwort geliefert: Es genügt, eine stark belichtete Aufnahme des Ausschnitts mit einem weniger hoch aufgelösten Bild des gesamten Gegenstandes zu ergänzen. Man belichtet also die Nase stark und den restlichen Kopf schwach; das reicht aus, um die Nase scharf in 3D abzubilden. Das weniger scharfe Übersichtsbild kann schnell erstellt werden und liefert trotzdem genügend Information, um den Ausschnitt in hoher Auflösung zu rekonstruieren. Insgesamt ergeben sich dadurch eine niedrigere Strahlungsdosis sowie ein geringerer Zeitaufwand für die Aufnahme.

Medizinische Anwendungen denkbar

Mit der neuen Technik kann man Ausschnitte eines Gegenstandes schneller in hoher Auflösung abbilden, ohne die Umgebung des Ausschnitts unnötig stark mit Strahlung zu belasten. Das könnte diese Methode auch für medizinische Anwendungen interessant machen. Denkbar wären etwa Computertomografiebilder eines Teils eines Organs, ohne dass man dafür den ganzen Körper des Patienten stark bestrahlen muss. Technisch sollten keine grossen Stolpersteine im Weg stehen, denn die neue Technik ist nicht auf Röntgenlicht einer Grossanlage wie der SLS angewiesen. "Sie würde auch, nach Anpassungen, mit den Röntgenmaschinen funktionieren, die man in Spitälern verwendet“, sagt Guizar-Sicairos.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.psi.ch/media/aus-dem-innern-einer-eierschale

Quelle: Paul Scherrer Institut (06/2015)


Publikation:
Quantitative interior x-ray nanotomography by a hybrid imaging technique
Manuel Guizar-Sicairos, Jaap J. Boon, Kevin Mader, Ana Diaz, Andreas Menzel, and Oliver Bunk
Optica 2, 259--266 (2015)
DOI:10.1364/OPTICA.2.000259

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