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Mittwoch, den 24. Oktober 2012 um 14:37 Uhr

„Goldener Schnitt“ in Stein gemeißelt – 3D-Scans (v)ermessen 15.000 Jahre alte Schieferbilder

3D-Scans an über 15.000 Jahre alten Schiefergravierungen des Fundplatzes Gönnersdorf werfen Licht auf die soziale Bedeutung von Kunst und Künstlern in der Frühphase menschlichen Kunstschaffens: die Werke spezialisierter Künstler folgen bereits den Regeln des „Goldenen Schnitts“ und unterscheiden sich signifikant von den Nachahmungsversuchen unerfahrener Laien. Über die Ergebnisse ihrer Studie berichtet Alexandra Güth vom Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution (MONREPOS) in der Oktoberausgabe des Journal of Archaeological Science.
Mit über 500 Frauen- und 240 Tierbildern sowie zahlreichen nichtfigürlichen Zeichen bilden die Schieferplatten von Gönnersdorf ein einzigartiges Konvolut eiszeitlichen Kunstschaffens. Neben naturalistisch-lebendigen Tiergravuren sind schematische Frauendarstellungen charakteristisch. In der Archäologie sind sie weltweit als „Frauendarstellungen vom Typ Gönnersdorf“ bekannt. Ihre europaweite Verbreitung beweist, dass die Information hinter diesem Symbol und die Regeln seiner Darstellungsweise über alle heutigen Grenzen hinweg verständlich waren. Die gravierte Bildwelt von Gönnersdorf diente offenbar als Kommunikationsmedium und „kollektives Gedächtnis“. Viele Platten wurden wieder und wieder mit neuen Figuren graviert, zufällig oder in choreographierten Szenen, die ganze Geschichten zu erzählen scheinen.

Eine weitere Besonderheit der Bilderplatten: sie wurden mitten im Siedlungsalltag der eiszeitlichen Jäger und Sammler gefunden. Und der ist durch sorgfältige Ausgrabungen und intensive Forschungen in MONREPOS außergewöhnlich detailliert rekonstruiert. Anders als die altsteinzeitlichen Höhlenheiligtümer Süd- und Westeuropas können die Funde von Gönnersdorf also etwas über die alltägliche Funktion von Kunst verraten, über die Künstler und ihre gesellschaftliche Stellung: Welche Rolle spielte Kunst in ihrer Anfangsgeschichte, warum gibt es sie überhaupt? Lassen sich die Funktion und Bedeutung von Kunst bei unseren jäger-sammlerischen Vorfahren mit ihrer heutigen vergleichen? Diese Fragen stehen bei der Erforschung der Gönnersdorfer Schieferplatten im Vordergrund. Ihre Beantwortung setzt hochauflösende metrische Analysen voraus, um die Herstellungsweise und Stilistik der gravierten Figuren zu verstehen.

Durch die Auswertung von 3D-Scans wurden die Gravierungen ausgewählter Platten von Gönnersdorf nun erstmals vollständig objektiv und metrisch erfasst.
- Technik und Stil der Darstellungen sind auf dieser Basis eindeutig zu klassifizieren.
- Viele Details wurden so neu entdeckt, die Lesart einzelner Figuren korrigiert.
- Die chronologischen Abfolgen der Linien lassen sich nun differenzieren, so dass die Bilderabfolgen auf den Platten rekonstruiert werden können.

Viel weitreichender aber sind die Erkenntnisse zu den Machern der Kunstwerke, der sozialen Bedeutung ihrer Arbeit und den Regeln ästhetischer Wirkung, die -bis heute unverändert- bereits den frühesten Künstlern bekannt waren. Schönheit lässt sich messen: Die Auswertungen der 3D-Scans zeigen, dass Pferdegravuren, die noch heute als „schön“ empfunden werden, sich in Metrik und Linienführung signifikant von „weniger gelungenen“ Exemplaren unterscheiden. Erstere wurden bereits nach den Regeln des Goldenen Schnitts proportioniert; eine geschickte Liniendopplung an den richtigen Stellen wirkte als Effektverstärker: Auf den Gönnersdorfer Schieferplatten haben sich talentierte Künstler verewigt, die auf ihr Handwerk spezialisiert waren. Ihre Werke heben sich von Nachahmungsversuchen wenig versierter Graveure ab.

„Unser Sinn für Ästhetik hat sich offenbar über fast 18.000 Jahre nicht verändert. Was wir heute als schön und harmonisch empfinden, wurde auch damals schon so beurteilt. Die Werke dieser Künstler haben sich durchgesetzt und zwar bis heute“, meint die Archäologin Alexandra Güth, die die Schieferplatten untersucht hat.
Diese nach heutigen Maßstäben modern wirkende Spezialisierung impliziert, dass bereits die Gesellschaften des späten Eiszeitalters nach differenzierten Regelwerken organisiert waren. Zugleich zeigen die schiere Anzahl gravierter Schieferplatten und die Herausbildung eines geschulten Künstlertums eine große soziale Bedeutung von bildhafter Kommunikation und Kunst (gerade auch) in nichtschriftlichen Jäger-Sammler-Gesellschaften.

Mit der zurzeit erweiterten Datenbank 3D-gescannter Schieferplatten lassen sich in Zukunft möglicherweise auch Handschriften einzelner Künstler unterscheiden.
Die digitale Erfassung ist zugleich der bestmögliche Schutz dieses Kulturerbes, das damit dauerhaft archiviert wird.


Den Artikel finden Sie unter:

http://idw-online.de/de/news503113

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft / Römisch-Germanisches Zentralmuseum (RGZM)  (12/2012)

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