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Dienstag, den 10. April 2018 um 13:33 Uhr

Kampf um saubere Abgase geht weiter

Vor genau 20 Jahren veröffentlichten Experten der Empa und VERT erste Versuchsergebnisse zu Dieselpartikelfiltern. Heute sind mehr als 300 Millionen Fahrzeuge weltweit mit solchen Filtern ausgerüstet. Warum das Abgasproblem dennoch längst nicht erledigt ist, zeigte eine Tagung der VERT-Association an der Empa-Akademie.

Die Geschichte des Dieselpartikelfilters begann mit einem Fehlschlag in Kalifornien – und einer Er-folgsgeschichte in der Schweiz. Anfang der 80er Jahre hatte Daimler-Benz eine Flotte von Luxuslimousinen für Kalifornien mit Partikelfiltern ausgerüstet. Doch die Filter, gebaut in einen Konsortium der deutschen Degussa und des US-Keramikherstellers Corning, zerbröselten am Unterboden der Diesel-Autos. 2000 Motorschäden und eine Rückrufaktion liessen diesen ersten Versuch im Desaster enden.

Forschung unter Zeitdruck

Doch bereits fünf Jahre später mussten wirksame und praxistaugliche Partikelfilter her für Baumaschinen. Am 21. September 1992 hatte die Schweiz sich in einer Volksabstimmung für den Bau des NEAT-Basistunnels entschieden. Doch der Ausbruch von zwei 57 km langen Tunnelröhren wäre mit ungefilterten Diesel-Baumaschinen schlichtweg unmöglich gewesen, so hatten die Experten schnell ausgerechnet. „Wir hätten die maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK) für Dieselruss nicht einhalten können, wenn wir nur auf die Belüftung der Tunnel mit Frischluft gesetzt hätten“, sagt Andreas Mayer von der VERT-Association. So wurde das VERT-Projekt gestartet zur Erprobung von Partikelfiltern in der NEAT. Daraus ist auch die VERT-Association entstanden, die im März 2018 mit einem zweitägigen Seminar an der Empa 20 Jahre Filtertest feierte. Der Name VERT stand damals für "Verbesserung der Emissionen von Realmaschinen im Tunnelbau" und ist heute ein anerkanntes Gütesiegel für beste verfügbare Partikelfilter-Technologie Best availible filter technology muss Abscheidegrade >98% erreichen für alle Partikel-Grössenklassen (20-400 Nanometer)
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Aus zehn Filtern werden 300 Millionen

Der Forschungsverbund der Empa, der Fachhochschulen Bern in Biel und Nordwestschweiz in Windisch und der VERT-Association wurde zu einer Erfolgsgeschichte: Aus zehn Test-Filtern für Baumaschinen im Jahr 1998 wurden bis heute 300 Millionen Filter, die in Personenwagen, Lastwagen, Bussen und Off-road Maschinen im Einsatz sind.
Im Jahr 2000 lieferte Peugeot erstmals Partikelfilter in einem PW serienmässig aus. Seit Einführung der Schadstoffklasse Euro 5 im Jahr 2011 sind Filter für neue Diesel-PW in Europa praktisch unumgänglich geworden. Mit der Einführung von Euro 6d im September 2019 und dem Absenken des Emissionsgrenzwerts auf 600 Milliarden Partikel pro Kilometer werden auch Benzin-betriebene Fahrzeuge nicht mehr ohne Partikelfilter auskommen können.

Sind alle Probleme gelöst?

Ist nun die Arbeit getan? Sind die Abgase von Autos und Lastwagen sauber genug? Kann die VERT-Association nach 20 Jahren ihre Arbeit einstellen?
Keineswegs, wie sich bei der zweitägigen Tagung im März zeigte. 600 Milliarden Partikel/km sind eine erschreckend hohe Zahl. Mit VERT-geprüften Filtern könnten die Partikelemissionen ohne Weiteres 10- oder 100-fach abgesenkt werden. Die VERT-Veranstalter hatten Chemiker, Toxikologen, Mediziner und Ingenieure eingeladen um über Risiken und Nebenwirkungen von Verbrennungsabgasen zu diskutieren. So trug Uwe Wagner vom Institut für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) seine optimistische Sicht vor. Wagners Fazit: „Die Emissionsprobleme von Verbrennungsmotoren sind gelöst.“ Nun müssten nur noch ältere Fahrzeuge allmählich durch neuere ersetzt werden. Dass ältere Fahrzeuge, wie später gezeigt, auch nachgerüstet werden könnten ging verloren.

Was ist gefährlicher: Stickoxide oder Russpartikel?

Der Ingenieur aus Karlsruhe erntete auf dem VERT-Forum heftigen Widerspruch: Das NO2-Problem in Städten sei nicht gelöst, die EU-Grenzwerte für das Schadgas an vielen städtischen Messpunkten überschritten. Dies belegen die 650 Umweltzonen die in Europa eingeführt wurden um hohe Luftschadstoff-Belastungen zu bekämpfen. Noch immer sind Millionen Diesel-PW mit legalen Abschalteinrichtungen unterwegs – und noch immer dürfen sie weiter verkauft werden. Erst ab September 2019 gilt die Schadstoffnorm Euro 6d für alle Neuwagen. Erst dann muss jedes neu verkaufte Auto auch auf der Strasse NOx-Grenzwerte erfüllen.
Diskutiert wurde auch, welche Abgas-Bestandteile gesundheitsschädlich sind. Nur das hoch toxische Kohlenmonoxid (CO) ist emissionsseitig begrenzt, krebsäuslösende Stoffe wie Benzol oder Benzo(a)pyren sind nicht beschränkt obwohl die EU Aussenluft-Grenzwerte im Gesetz verankert hat. Ist Stickstoffmonoxid (NO) oder Stickstoffdioxid (NO2) giftiger? Oder sind es die nanometerkleinen Russpartikel, die bei einem Grenzwert von 600 Milliarden Partikel/km immer noch zahlreich freigesetzt werden? Russpartikel besitzen eine grosse spezifische Oberfläche, auf der Krebs erregende Verbrennungsrückstände anhaften und an den körpereigenen Abwehrsystemen vorbei bis in die Lungenbläschen geraten können. Sie wirken also wie ein Trojanisches Pferd.

„Partikelfilter und deNOx-Systeme sind Chemiefabriken.“

Welche Verbrennungsrückstände auf den Russpartikeln haften, weiss Norbert Heeb, Chemiker der Empa und seit 20 Jahren in der Abgasforschung tätig. In seinem Vortrag erläuterte er, welche toxischen Bestandteile in Verbrennungsabgasen aus Erdölprodukten vorkommen. Besonders heikel sind teilweise verbrannte Kohlenwasserstoffe, die in DeNOx-Systemen und Russpartikelfilter längere Zeit verweilen. Die Kombination aus Reaktionshitze, Sauerstoff, Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen kann zu neuen Krebs-erregenden Produkten führen, weiss Heeb. „Das ist eine veritable Chemiefabrik“.

Schadstoffe durch Mischung mit kalter Luft

Doch nicht nur im heissen Auspufftrakt bilden sich giftige Stoffe. Bestimmte Schadstoffe, sogenannte „Sekundärschadstoffe“ bilden sich auch nach dem Mischen der heissen Abgase mit kühler Umgebungsluft. Darunter sind etwa bodennahes Ozon oder sekundäre Kondensate und Feinstaubpartikel, die an ihrer Oberfläche ebenfalls Krebs-erregende Verbrennungsrückstände absorbieren.
Weitere Messungen sind – so waren sich die Experten einig – in jeder Hinsicht angebracht. „Jeder zehnte Partikelfilter ist defekt“, sagt etwa Jan Czerwinski von der Berner Fachhochschule Biel in seinem Vortrag und forderte: „Wir müssen diese defekten Filter finden.“

Schädigung menschlicher Zellen durch Abgase

Die Forderung ist auch aus toxikologischer Sicht angebracht – Hinweise auf Gesundheitsschäden durch Abgase gibt es inzwischen zuhauf: Mehrere Experten, darunter Tina Bürki von der Empa, Barbara Rothen-Rutishauser vom Adolphe Merkle Institute oder Marianne Geisser und Loretta Müller von der Universität Bern, präsentierten Versuchsreihen, in denen menschliche Zellkulturen Diesel- oder Benzinmotorabgasen ausgesetzt wurden. Die biologischen Reaktionen dieser Zellkulturen lassen auf gesundheitsschädigende Effekte für Menschen schliessen.
Zugleich entwickelt sich auch die Filter- und DeNOx-Technologie weiter. Neu entwickelte Nachrüstfilter bringen Nutzfahrzeuge vom Euro-2 bis Euro-5 auf den Euro-6-Standard. In Shenzen (China) und Teheran (Iran) sollen ganze Bus-Flotten nachgerüstet werden, Behörden in Israel denken über eine landesweite „Low-Emission-Zone“ nach, das Israelische Parlament hat soeben die flächendeckende Nachrüstung der Busflotte mit Filtern beschlossen. Und in Europa wächst die Zahl der Umweltzonen, in die älteren Diesel-Fahrzeugen die Einfahrt verwehrt wird. Die Zahl der Zonen ist inzwischen so unübersichtlich, dass die Website einer Consulting-Agentur Abhilfe schaffen muss. Unter www.urbanaccessregulations.eu sind alle Fahrverbote Europas mit ihren jeweiligen Vorschriften aufgeführt.

Die Abgasdebatte ist also auch 20 Jahre nach der Einführung von VERT-Filtertests noch lange nicht vorbei.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.empa.ch/web/s604/vert-2018

Quelle: Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (04/2018)

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