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Mittwoch, den 31. Januar 2018 um 08:58 Uhr

Die optische Vermessung der synaptischen Nano-Welt

Die elementaren Prozesse des Lebens finden in den Zellen unseres Körpers auf sehr kleinem Raum im Bereich zwischen Millionstel (Mikro) und Milliardstel (Nano) Metern statt. Ein Beispiel ist die Signalübertragung an Synapsen, den Kontaktstellen, über die Nervenzellen miteinander „sprechen“. Um diese Signale beobachten zu können, haben Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) sowie des Max-Planck-Instituts (MPI) für biophysikalische Chemie erstmals die von Chemie-Nobelpreisträger Prof. Dr. Stefan Hell, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, und Kollegen entwickelte optische Nanoskopie für höchstauflösende Messungen der lokalen Kalziumkonzentration in Synapsen nutzbar gemacht. Die Ergebnisse wurden im Januar 2018 im renommierten Wissenschaftsjournal Nature Communications veröffentlicht.

Wann bei der Übertragung von Signalen an Synapsen Botenstoffe, wie zum Beispiel Glutamat, aus einzelnen „Botenstoff-Containern“, den synaptischen Vesikeln, freigesetzt werden, wird durch Kalziumionen gesteuert. Die Kalziumionen strömen durch winzige Kanäle, die nur wenige Nanometer von den Vesikeln entfernt liegen, in die Zelle ein. Folglich sind die Kalziumsignale räumlich sehr begrenzt, sie bilden sogenannte „Kalzium-Nanodomänen“. Dies ermöglicht eine sehr schnelle Regulation der Signale. Zudem schützt es die Zelle vor den giftigen Auswirkungen einer zellweiten Erhöhung der Kalziumkonzentration. Bislang konnten diese Signale nicht direkt vermessen werden, weil ihre Ausdehnung unterhalb der Auflösungsgrenze konventioneller Lichtmikroskopie liegt.

Um diese Signale dennoch beobachten zu können, hilft die optische Nanoskopie weiter. Dafür mussten die Göttinger Forscher zunächst geeignete, kalziumempfindliche Fluoreszenzfarbstoffe finden und charakterisieren. In einem weiteren Schritt wurde die Nanoskopie mit der von den Medizin-Nobelpreisträgern Prof. Dr. Erwin Neher und Prof. Dr. Bert Sakmann in Göttingen entwickelten Patch-Clamp Methode kombiniert, um dann nanoskopische Messungen der Fluoreszenz-Lebensdauer zu etablieren. Diese Methode macht es jetzt möglich, die Ausbreitung des Kalziumsignals in der Zelle mit bisher unerreichter Genauigkeit sichtbar zu machen. Zudem kann nun auch die Konzentration von Kalziumionen direkt am Ort des Eintritts in die Zelle gemessen werden.

Prof. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der UMG und Forschungsgruppenleiter am MPI für biophysikalische Chemie, sieht in dem Ergebnis einen Durchbruch bei der Erforschung der Signalwege: „Kalzium ist eines der wichtigsten Signale in Zellen. Der technische Durchbruch, dass wir jetzt Kalziumsignale mit der Präzision von Nanometern und Millisekunden quantifizieren können, eröffnet völlig neue Möglichkeiten für die Erforschung der Zellen von Herz und Nervensystem.“

Die erste Anwendung dieser Methode erfolgte in sensorischen Haarzellen des Innenohres. Hier bilden Kalziumkanäle kleine Ansammlungen – sogenannte Cluster – an den Synapsen. Dort beobachteten die Göttinger Wissenschaftler Kalziumsignale, deren räumliche Ausdehnung gut mit der zuvor bestimmten räumlichen Verteilung der Kalziumkanal-Cluster übereinstimmte. Dabei zeigte sich, dass die Länge der Cluster stark variiert: von rund 100 bis 450 Nanometern. Die Forscher setzten zwei neuartige optische Verfahren ein, mit denen sie die Kalziumkanäle in den Clustern zählen konnten. Dabei entdeckten sie, dass diese Zahl von Synapse zu Synapse zwischen 30 und 300 Kanälen schwankt. Die Clusterlänge scheint demnach mit der Zahl der Kanäle zu variieren, womit auch die „Stärke“ der Synapse geregelt wird. Die Wissenschaftler schlussfolgern daraus: Die Haarzellen bilden verschieden „starke“ Synapsen aus, um auf diese Weise eine größere Bandbreite an Information an den Hör-Nerv übertragen zu können. Dr. Jakob Neef vom Institut für Auditorische Neurowissenschaften der UMG sagt: „Biologische Variabilität hat in diesem Fall einen konkreten Mehrwert für das Hören: Synapsen mit verschiedenen Kalziumsignal-Eigenschaften teilen sich hier offenbar die Arbeit, Schall in Nervensignale umzuwandeln, um die gesamte Bandbreite der Schalleindrücke von leise bis laut abdecken zu können.“

Mit diesem neuen optischen Verfahren können die Wissenschaftler nun den auf der Nanometer-Skala stattfindenden zellulären Prozessen in einem lebenden Gewebe regelrecht „bei der Arbeit“ zuschauen. Das neue Verfahren ermöglicht das bildliche „Hineinzoomen“ von der Beobachtung des ganzen Organs hinunter bis auf die Zellebene, hin zu einzelnen Synapsen und schließlich auf die Ebene der synaptischen Kalziumkanäle. Die hier entwickelten optischen Methoden und ihre Kombination mit dem Patch-Clamp-Verfahren stehen nun auch anderen Anwendungen der Lebenswissenschaften und Medizin zur Verfügung. Dr. Nicolai Urban vom MPI für biophysikalische Chemie sagt: „Die optische Nanoskopie ermöglicht physiologische Untersuchungen mit unglaublicher Detailtreue. Mit ihr kommen wir der Entschlüsselung der kleinsten Funktionseinheiten unseres Körpers einen großen Schritt näher.“ So sollen sie etwa nun auch eingesetzt werden, um Kalzium-Nanodomänen in Herzmuskelzellen zu entschlüsseln.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.universitaetsmedizin-goettingen.de/de/content/presseinformationen/presseinformationen_26788.asp

Quelle: Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität (01/2017)

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