Volltextsuche

Top Suchbegriffe



Montag, den 23. August 2010 um 10:16 Uhr

Neues Chlorophyll absorbiert tief im Infrarotbereich

In der Photosynthese wird Kohlendioxid zu energiereichen Verbindungen reduziert, die Energie für das Biosystem Erde liefern. Schlüsselmoleküle im photosynthetischen Apparat der Pflanzen, Algen und bestimmter Bakterien sind die Chlorophylle. Ein internationales Forscherteam um die australische Botanikerin Professor Min Chen hat nun ein neues Chlorophyll-Molekül nachgewiesen, das besonders langwelliges Licht im nahen Infrarotbereich absorbieren kann. „Unsere Überlegung war, dass in dichten Algenmatten die zuoberst lebenden Organismen so viel Sonnenstrahlung abfangen, dass für unten liegende Schichten im sichtbaren Bereich nichts bleibt und ein hoher Selektionsdruck zur Nutzung des durchgelassenen Infrarotlichts besteht“, sagt der LMU-Biologie Professor Hugo Scheer, der an der Studie maßgeblich beteiligt war. „In Stromatolithen, australischen Algenmatten, die zu den ältesten bekannten biologischen Gemeinschaften gehören, konnten wir jetzt tatsächlich Organismen mit einem neuen Chlorophyll-Molekül nachweisen.“ Das Chlorophyll f kann langwelligere Strahlung als die anderen vier bekannten Chlorophylle der oxigenen, also Sauerstoff-produzierenden Photosynthese absorbieren. Es ist das erste seit mehr als 60 Jahren neu entdeckte Molekül diese Art. „Die Entwicklung technischer oder Hybrid-Anlagen, die Licht als Energiequelle nutzen, könnte von diesem Fund profitieren“, so Scheer. „Chlorophylle, die im Infrarotbereich absorbieren, spielen aber auch bei manchen Krebstherapien eine Rolle.“ (Science online, 19. August 2010)

Die Photosynthese ist die Grundlage allen Lebens auf der Erde. Denn bei diesem Prozess werden energiereiche Verbindungen produziert, die heterotrophen Organismen wie dem Menschen als Nahrung dienen. Bei der oxigenen Photosynthese, die dabei den weitaus größten Beitrag leistet, ist Wasser als Reduktionsmittel ein unverzichtbarer Bestandteil. Wasser ist zwar sehr reaktionsträge, was die oxigene Photosynthese sehr energieaufwändig macht, es steht aber in praktisch unerschöpflichen Mengen zur Verfügung. Grüne Pflanzen, Algen und Cyanobakterien („Blaualgen“), die oxigene Photosynthese betreiben, erzeugen dabei zudem ein besonders interessantes Abfallprodukt: Sauerstoff.

Der molekulare Apparat der Photosynthese ist wohl seit mehr als zwei Milliarden Jahren weitgehend unverändert geblieben. Als Schlüsselpigmente fungieren die Chlorophylle, das „Blattgrün“. Diese Moleküle übernehmen eine Vielzahl von Funktionen in der Photosynthese, darunter die Absorption des Lichts, den Energietransfer und den Elektronentransfer. Bis vor Kurzem wurde vermutet, dass das Chlorophyll a, die häufigste Variante in grünen Pflanzen, einzig in der Lage ist, den eigentlichen Energiewandlungsprozess in den Reaktionszentren auszuführen. Das dabei verwendete rote Licht von weniger als 700 Nanometer Wellenlänge würde damit eine Art energetische Grenze markieren.

Erst spät gelang der Nachweis, dass das Chlorophyll d eines speziellen Cyanobakteriums die oxigene Photosynthese mit Licht oberhalb 700 Nanometern ermöglicht. Eine gezielte Suche führte daraufhin zu einer Reihe weiterer Organismen, die dieses Pigment enthalten. „Dahinter stand die Überlegung, dass die weit verbreitete Verwendung von Chlorophyll a oxigene Organismen vor ein Dilemma stellen sollte“, meint Hugo Scheer, Professor der LMU München im Ruhestand. „Schließlich konkurrieren sie alle um dasselbe Licht. Vor allem in sehr dicht besiedelten Biotopen würden die oben liegenden Organismen das gesamte sichtbare Licht absorbieren. Die im Schatten darunter hätten dagegen das Nachsehen – und einen enormen Selektionsdruck das wenige durchgedrungene sichtbare Licht zu nutzen oder aber das von Chlorophyll a nicht absorbierte nahe Infrarotlicht.“ Genau in solchen Lebensgemeinschaften wurden weitere Chlorophyll d-haltige Organismen entdeckt.

Die Untersuchung sogenannter Stromatolithe in Australien durch das Team um Chen lieferte aber noch eine weitere und ungleich größere Überraschung – das Chlorophyll f. Stromatolithe sind dichte Matten von Cyanobakterien, die zu den ältesten bekannten Organismen-Gemeinschaften gehören. „Die gezielte Anzucht mit Infrarotlicht hat jene Organismen aus diesen Gemeinschaften angereichert, die das neue Chlorophyll f enthielten“, berichtet Scheer. „Wir konnten zeigen, dass dieses Molekül dem Chlorophyll a strukturell sehr ähnlich ist, aber tiefer im infraroten Bereich absorbieren kann als die anderen vier bekannten Chlorophylle.“ Eine sogenannte Formyl-Gruppe bewirkt die Änderung der Absorption, wobei die genaue Position dieser Gruppe im Molekül für die langwellige Verschiebung der Absorption entscheidend ist. Das Chlorophyll f ist das erste neue Chlorophyll der oxigenen Photosynthese, das in über 60 Jahren entdeckt wurde.

Die Struktur des neu gefundenen Moleküls wurde weitgehend von Scheer aufgeklärt. Die Erkenntnisse könnten helfen, weitere spektrale Änderungen an Chlorophyllen durchzuführen, um deren Funktion zu verändern. „Auch technische Anlagen, die Licht als Energiequelle nutzen, könnten unter Ausnutzung dieser Prinzipien einen größeren Wirkungsgrad bekommen“, sagt Scheer. „Dann gibt es aber auch noch medizinische Ansätze. Bei der photodynamischen Therapie von Krebs sammeln sich lichtempfindliche Medikamente im Tumor an. Durch gezielte Bestrahlung mit Licht werden sie von außen aktiviert. Im nahen Infrarotbereich absorbierende Chlorophylle sind hier besonders interessant, weil Strahlung in diesem Spektralbereich besonders tief in Gewebe eindringen kann.“ (suwe)


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.uni-muenchen.de/einrichtungen/zuv/uebersicht/komm_presse/verteiler/presseinformationen/2010/f-55-10.html

Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München (08/2010)

Publikation:
„A red-shifted chlorophyll”, Min Chen, Martin Schliep, Robert Willows, Zheng-Li Cai, Brett A. Neilan, Hugo Scheer
Science online, 19. August 2010, DOI: 10.1126/science.1191127

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.
Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.