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Montag, den 16. August 2021 um 10:51 Uhr

Geophysiker erforschen am Computer die Entstehung der Erde

Obwohl Dr. Christian Maas ausschließlich am Computer forscht, ist es manchmal, als stünde er im Labor. „Ich mache Experimente“, sagt er. Mit seinen virtuellen Experimenten untersucht der Geophysiker eine Frage, auf die man in keinem Labor der Welt eine Antwort finden könnte: die Frage, wie die Erde entstanden ist. Genauer gesagt erforscht Christian Maas, welche Rolle die Magmaozeane im Erdinneren bei der Entstehung der Erde spielten.

Um mögliche Antworten auf diese Frage zu finden, muss Christian Maas etwa 4,5 Milliarden Jahre zurückblicken. Damals ereilte die noch junge Erde eine Kollision von unvorstellbarer Wucht: Ein marsgroßer Planeten-Vorläufer („Protoplanet“) traf auf die Erde. Als Folge entstand nicht nur der Mond aus dem bei der Kollision ins All geschleuderten Gestein, sondern der Gesteinsmantel der Erde wurde glühend heiß und schmolz bis in eine Tiefe von mehreren Tausend Kilometern – er wurde zum Magmaozean. Es folgten unzählige Einschläge weiterer kleinerer Protoplaneten.

Wie entwickelte sich aus diesem Zustand die Erde von heute? Das ist die Leitfrage hinter Christian Maas‘ 2020 abgeschlossener Doktorarbeit. Eine wichtige Detailfrage lautet: Inwieweit spielte die Rotation der Erde eine Rolle? Die Erde drehte sich damals wesentlich schneller als jetzt; ein Tag dauerte lediglich zwei bis fünf Stunden. Die Corioliskraft, die bewegte Körper in einem rotierenden System von ihrer Bahn ablenkt, war damit ungleich stärker. Die Arbeitsgruppe für Geodynamik um Christian Maas‘ Doktorvater Prof. Dr. Ulrich Hansen war weltweit die erste Gruppe, die dieses Phänomen berücksichtigte. 2015 war das. „Vorher konnte man die Magmaozeane nicht genauer untersuchen, weil es keine Rechner mit ausreichend Rechenkapazität gab“, unterstreicht Ulrich Hansen.

„Anfangs hieß es, unsere Untersuchungen seien falsch. Später kamen die Fachkollegen zu der Einsicht, dass sie sehr wohl richtig sind – und außerdem relevant“, sagt Ulrich Hansen schmunzelnd. Die münsterschen Geophysiker nutzen ein selbst entwickeltes Programm, mit dem sie die Geschehnisse nach der mondbildenden Kollision simulieren. „Selbstverständlich wissen wir nicht genau, was damals passierte, mit welchem Winkel beispielsweise der Himmelskörper auf die Erde traf“, sagt Christian Maas. „Daher experimentieren wir. Wir starten viele Simulationen, verändern wie in Laborexperimenten systematisch die Bedingungen und spielen mögliche Szenarien durch.“

Was sich einfach anhört, ist in Wahrheit eine Herkulesaufgabe. Eine typische Simulationsrechnung aus Christian Maas‘ Doktorarbeit dauert sechs Monate auf „PALMA II“, dem Hochleistungsrechner der WWU. Die längste Berechnung dauerte ein ganzes Jahr. Was die Berechnungen so aufwändig macht, ist die Art der zu lösenden Gleichungen: Wie beispielsweise bei Klimasimulationen sind sie nicht linear. Eine winzige Änderung in der Ausgangsgleichung kann enorme Auswirkungen auf das Ergebnis haben. Zusätzlich zu PALMA II nutzen die Geophysiker den Supercomputer des Forschungszentrums Jülich sowie ein eigenes leistungsstarkes Computercluster. Einen Fehler im Code erst spät zu finden, ist bitter – dann sind unter Umständen Monate verschenkt.

In seiner Doktorarbeit hat der junge Geophysiker entscheidende neue Erkenntnisse gewonnen. So zeigte er unter anderem, dass die Geschwindigkeit der Erdrotation für die Erdentstehung von großer Bedeutung gewesen sein könnte, je nach Einschlagort der Protoplaneten. Für ein altes Rätsel der Geophysik bieten die Ergebnisse eine mögliche Lösung. So fragen sich Wissenschaftler, wieso nicht das gesamte Eisen, das durch Einschläge auf die Erde gebracht wurde, in den Kern der Erde sank. So wäre es jedenfalls aus physikalischen Gründen zu erwarten gewesen, da das Eisen deutlich schwerer ist als das Material des Magmaozeans. Bisher favorisierten die Experten folgende Erklärung: Eisen in weiter außen gelegenen Schichten der Erde kam durch spätere Kollisionen mit weiteren eisenhaltigen Himmelskörpern auf die Erde, nach dem Abkühlen des ersten großen Magmaozeans, der durch den Einschlag eines marsgroßen Himmelskörpers entstanden war. Christian Maas‘ Daten zeigen jedoch, anders als erwartet: Das Eisen muss gar nicht komplett in den Erdkern gesunken sein oder zumindest, je nach Breitengrad, deutlich langsamer als bisher angenommen.

„Natürlich kann niemand genau sagen, was vor 4,5 Milliarden Jahren passiert ist“, räumt Christian Maas ein. „Aber wir können die wahrscheinlichsten Szenarien errechnen und so ein physikalisch sinnvolles Modell entwickeln.“


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.uni-muenster.de/news/view.php?cmdid=11915

Quelle: Westfälische Wilhelms-Universität Münster (08/2021)

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