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Montag, den 19. Juli 2021 um 06:22 Uhr

Trugschlüsse im Nanodraht

Wissenschafter_innen der Nanoelektronik-Gruppe am Institute of Science and Technology (IST) Austria waren auf der Suche nach einem halben Elektron als Basis für Quantencomputer. Gemeinsam mit Forscher_innen der Universität Kopenhagen und des spanischen Nationalen Forschungsrats (CSIC) untersuchten sie ein vielversprechendes Experiment. Jedoch mussten sie feststellen, dass die gemessenen Signale sie hinters Licht geführt hatten. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie nun im Journal Science.

Quantencomputer versprechen große Fortschritte in vielen Bereichen – von Kryptographie bis zur Simulation von Proteinfaltung. Aber welches physikalische System am besten dafür geeignet ist, die zugrundeliegenden Quantenbits zu bauen, ist noch eine offene Frage. Anders als normale Bits in einem Computer können diese sogenannten Qubits nicht nur die Werte 0 und 1 annehmen, sondern auch Mischungen aus beiden. Das macht sie zwar potenziell sehr nützlich, aber auch sehr instabil.

Eine Lösungsstrategie setzt auf topologische Qubits, welche die Information in ihrer räumlichen Anordnung darstellen. Sie könnten eine stabilere Basis für Berechnungen bieten als andere Systeme, die zudem auch resistenter gegen Fehler wäre. Das Problem ist, dass bisher noch niemand ein topologisches Qubit widerspruchsfrei nachgewiesen hat.

Ein internationales Team von Forscher_innen aus Österreich, Kopenhagen und Madrid rund um Marco Valentini von der Nanoelektronik-Gruppe am IST Austria hat nun ein neuartiges Experiment mit einem Nanodraht durchgeführt. Theorien sagen voraus, dass dieser die sogenannten Majorana-Nullmoden erzeugt – der Grundbaustein für ein topologisches Qubit. Die Forscher_innen fanden jedoch heraus, dass ein Signal für solche Moden sie in die Irre führen kann.

Zwei Elektronhälften

Der Versuchsaufbau besteht aus einem winzigen Draht, der nur einige hundert Nanometer – einige Millionstel eines Millimeters – lang ist und von Peter Krogstrup von Microsoft Quantum und der Universität Kopenhagen gezüchtet wurde. Diese Nanodrähte bilden eine frei schwebende Verbindung zwischen zwei Metallleitern auf einem Chip. Sie sind mit einem supraleitenden Material beschichtet, das bei sehr niedrigen Temperaturen jeden elektrischen Widerstand verliert. Die Beschichtung reicht bis zu einem winzigen Rest an einem Ende des Drahtes, der das zentrale Teil des Experiments bildet – die sogenannte Grenzzone. Die ganze Vorrichtung ist auch von einem Magnetfeld durchsetzt.

Die Theorien der Wissenschafter_innen sagten voraus, dass Majorana-Nullmoden in dem Nanodraht auftreten sollten. Diese Moden sind ein seltsames Phänomen, denn ursprünglich waren sie bloß ein mathematischer Trick am Papier, um ein Elektron im Draht als aus zwei Hälften bestehend zu beschreiben. Normalerweise behandeln Physiker_innen Elektronen nicht als etwas, das geteilt werden kann. Aber mit diesem Nanodraht sollte es jedoch möglich sein, diese „Elektronenhälften“ zu trennen und sie als Qubits zu verwenden.

„Wir waren begeistert, an dieser vielversprechenden Plattform zu arbeiten“, erklärt Marco Valentini, der schon als Praktikant ans IST Austria gekommen war, bevor er PhD-Student in der Nanoelektronik-Gruppe wurde. „Wir erwarteten, das Signal von Majorana-Nullmoden im Nanodraht zu sehen, doch wir fanden nichts. Zuerst waren wir verwirrt, dann frustriert. In enger Zusammenarbeit mit unseren Kolleg_innen aus der Gruppe Theory of Quantum Materials and Solid State Quantum Technologies in Madrid untersuchten wir den Aufbau und fanden schließlich heraus, was falsch gelaufen war.“

Unter falscher Flagge

Nachdem sie versucht hatten, die Signaturen der Majorana-Nullmoden zu finden, begannen die Forscher_innen, den Aufbau des Experiments zu variieren. Sie wollten herauszufinden, ob irgendwelche Effekte aus seiner Architektur ihr Experiment gestört hatten. „Wir haben mehrere Experimente mit verschieden langen Nanodrähten gemacht, um herauszufinden, was schief läuft“, erklärt Valentini. „Es dauerte eine Weile, aber als wir die Länge der unbeschichteten Grenzzone von hundert auf zweihundert Nanometer verdoppelten, fanden wir den Übeltäter.“

Wenn die Grenzzone groß genug war, bildete der freiliegende innere Nanodraht einen sogenannten Quantenpunkt – ein winziges Stückchen Materie, das aufgrund seiner eingeschränkten Geometrie besondere quantenmechanische Eigenschaften hat. Die Elektronen in diesem Quantenpunkt konnten dann mit denen im beschichteten Supraleiter nebenan wechselwirken und so das Signal der „Elektronenhälften“ – die Majorana-Nullmoden – imitieren, nach denen die Wissenschafter_innen gesucht hatten.

„Wir brauchten mehrere Schritte, um auf diese unerwartete Schlussfolgerung zu kommen. Nachdem wir das theoretische Modell aufgestellt hatten, wie der Quantenpunkt mit dem Supraleiter in einem Magnetfeld wechselwirkt, verglichen wir die experimentellen Daten mit detaillierten Simulationen, die von Fernando Peñaranda, einem Doktoranden im Madrider Team, durchgeführt wurden", so Valentini.

„Die Verwechslung dieses imitierten Signals mit den Majorana-Nullmoden zeigt uns, wie vorsichtig wir bei unseren Experimenten und unseren Schlussfolgerungen sein müssen“, mahnt Valentini. „Während dies wie ein Rückschritt bei der Suche nach Majorana-Nullmoden erscheinen mag, ist es tatsächlich ein entscheidender Schritt vorwärts im Verständnis von Nanodrähten und deren experimentellen Signalen. Dieses Ergebnis zeigt, dass der Kreislauf von Entdeckung und kritischer Prüfung durch internationale Kolleg_innen für den wissenschaftlichen Fortschritt von zentraler Bedeutung ist.“


Den Artikel finden Sie unter:

https://ist.ac.at/de/news/trugschluesse-im-nanodraht/

Quelle: Institute of Science and Technology Austria (07/2021)


Publikation:
M. Valentini, F. Peñaranda, A. Hofmann, M. Brauns, R. Hauschild, P. Krogstrup, P. San-Jose, E. Prada, R. Aguado, G. Katsaros. 2021. Non-topological zero bias peaks in full-shell nanowires induced by flux tunable Andreev states. Science. DOI: 10.1126/science.abf1513

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