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Montag, den 05. Juli 2021 um 05:42 Uhr

Mechanische Multitalente in biologischen Zellen

Menschliche Körperzellen sind dauerhaft verschiedensten mechanischen Belastungen ausgesetzt. So müssen Herz und Lunge lebenslangem Ausdehnen und Zusammenziehen standhalten und Immunzellen sind stark verformbar, um sich durch den Körper zu bewegen. Dabei spielen spezielle Proteinstrukturen, sogenannte Intermediärfilamente, eine wichtige Rolle. Forscherinnen und Forschern der Universität Göttingen ist es jetzt erstmals gelungen, genau zu messen, welche physikalischen Effekte die Eigenschaften der einzelnen Filamente bestimmen und welche besonderen Eigenschaften erst durch das Zusammenspiel vieler Filamente in Netzwerken auftreten. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift PNAS erschienen.

Eines der wichtigsten Systeme, die Zellen zu Verfügung haben, um ihre Stabilität, Dehnbarkeit und Widerstandsfähigkeit gegen mechanische Belastung zu gewährleisten, ist das Zellskelett. Gebildet wird es überwiegend aus drei Sorten fadenartiger Proteinstrukturen, die jeweils verschiedene Funktionen und Eigenschaften besitzen. Zu diesen Proteinstrukturen gehören die sogenannten Intermediärfilamente. Sie bilden Netzwerke, die sich sehr stark verformen lassen, ohne Schaden zu nehmen: die Stoßdämpfer der Zellen. Gleichzeitig können diese Intermediärfilamente bei sehr starken Verformungen als inneres Halteseil dienen, das eine Zelle davor bewahrt, zerrissen zu werden.

Um diese Eigenschaften zu untersuchen, hat das Göttinger Team im Labor künstliche Netzwerke aus Intermediärfilamenten hergestellt und anhand der Bewegung von kleinen eingebetteten Kügelchen untersucht, wie sich das gesamte Netzwerk verhält. In den Netzwerken überlagern sich allerdings verschiedene Effekte: Das Dehnungsverhalten der einzelnen Filamente einerseits, und die Kraft und Häufigkeit, mit der die Filamente an Kreuzungspunkten wechselwirken, andererseits. Dazu haben die Forscherinnen und Forscher diese Aspekte getrennt untersucht, indem sie zunächst einzelne Filamente gestreckt haben, um die Kräfte zu bestimmen, die für die Streckung nötig sind.

Anschließend haben sie zwei der Filamente in einer gekreuzten Anordnung miteinander in Kontakt gebracht und durch Bewegung eines der Filamente an der Kontaktstelle gezogen. Durch diese Anordnung wie bei einer „mikroskopischen Geige“ haben sie genau bestimmt, mit welchen Kräften und welcher Häufigkeit die Filamente aneinanderbinden. Diese Ergebnisse konnten sie zusätzlich mit Computersimulationen stützen. Zudem hat das Team beobachtet, dass sich die Netzwerke über einen erstaunlich langen Zeitraum hinweg verändern und über eine Woche hinweg langsam „altern“, weil die Filamente immer länger werden oder sich zu Bündeln zusammenschließen.

„Alle diese Beobachtungen erweitern unser Verständnis dafür, warum unsere Zellen so unglaublich robust und trotzdem flexibel sind“, erklärt die Erstautorin der Studie, Anna Schepers vom Institut für Röntgenphysik der Universität Göttingen. „Zudem hilft ein klareres Bild von Intermediärfilamenten zu verstehen, wie und wieso sich die mechanischen Eigenschaften von Zellen zum Beispiel bei der Wundheilung oder bei metastasierenden Krebszellen ändern“, ergänzt die Leiterin der Studie, Prof. Dr. Sarah Köster.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.uni-goettingen.de/de/3240.html?id=6314

Quelle: Georg-August-Universität Göttingen (06/2021)


Publikation:
Anna V. Schepers, Charlotta Lorenz, Peter Nietmann, Andreas Janshoff, Stefan Klumpp, Sarah Köster. Multiscale mechanics and temporal evolution of vimentin intermediate filament networks. Proc. Natl. Acad. Sci. 2021. Doi: https://doi.org/10.1073/pnas.2102026118

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