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Montag, den 10. Februar 2020 um 05:02 Uhr

Im Detail erfasst: Mutierte DNA in Krebszellen

Kein Tumor gleicht dem anderen. Deshalb können zwei Personen mit der gleichen Krebsart auf ein Medikament völlig unterschiedlich reagieren: Bei dem einen wird der Tumor kleiner, bei der anderen zeigt sich das entartete Gewebe unbeeindruckt. Meist liegt das an individuellen genetischen Abweichungen der jeweiligen Krebszellen.

Um diese Abweichungen im Detail zu verstehen und Therapien künftig besser an die persönlichen Erfordernisse der Patient*innen anpassen zu können, hat sich ein internationales Team aus mehr als 1.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – das PCAWG-Konsortium (Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes) – vor einigen Jahren zum Ziel gesetzt, gängige Mutationsmuster im Genom von rund 3.000 Krebspatientinnen und -patienten aufzuspüren. Unter den gespendeten Gewebeproben waren Tumore der Leber, der Bauchspeicheldrüse, des Gehirns und 17 weiterer Organe.

Die PCAWG-Forscherinnen und Forscher griffen für ihr Projekt auf die Daten des ICGC (International Cancer Genome Consortium) und des TCGA-Projekts (The Cancer Genome Atlas) zurück. Deren Mitwirkende hatten die Genome und Transkriptome, also die Gesamtheit aller RNA-Moleküle, aus 1.188 der entarteten Gewebeproben, zuvor vollständig sequenziert.

Entschlüsselt wurden auch regulatorische Abschnitte der DNA

„Mit PCAWG wurden erstmals bei einer so großen Zahl von Patientenproben nicht nur die Bereiche des Erbguts untersucht, die Baupläne für Proteine enthalten, sondern auch die regulatorischen Abschnitte der DNA, die das Ablesen der Gene steuern“, sagt Dr. Roland Schwarz, der Leiter der Arbeitsgruppe „Evolutionäre und Krebsgenomik“ am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Schwarz ist einer von sieben Senior-Autor*innen der aktuellen „Nature“-Studie, die das zentrale Paper der PCAWG-Arbeitsgruppe 3 „Interaktion von Genom und Transkriptom“ darstellt. Aus seiner eigenen Arbeitsgruppe am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB) des MDC haben Dr. Matthew Robert Huska und Julia Markowski an dem Paper mitgewirkt. Insgesamt veröffentlicht die PCAWG mehr als 20 Studien gleichzeitig in Nature, Nature Genetics, Nature Communications, Nature Biotech und Communications Biology.

„In unserer Arbeit haben unsere Kollegen und wir eine Vielzahl von RNA-Veränderungen systematisch untersucht und Mutationen auf DNA-Ebene identifiziert, die diese RNA-Veränderungen hervorrufen“, erläutert Schwarz. Krebsspezifische Veränderungen auf der RNA-Ebene sind schon länger bekannt. „Oft werden in Tumoren Gene überexprimiert, also verstärkt abgelesen, wodurch mehr RNA gebildet wird“, sagt Schwarz. „Oder es kommt zu Verschmelzungen von Genen oder zu Änderungen im Splicing, einem wichtigen Schritt bei der Bildung der RNA.“

Strukturelle Veränderungen des Genoms spielen eine entscheidende Rolle

Welche Mutationen der DNA die bekannten Veränderungen der RNA hervorrufen, war bislang jedoch weitgehend unklar. Mit ihrer Arbeit haben Schwarz und 49 weitere Forscherinnen und Forscher nun eine wichtige Lücke im Verständnis für die Genetik der Krebsentstehung geschlossen.

„Ein besonderes Augenmerk unserer Arbeit am MDC lag dabei auf dem Zusammenspiel von punktuellen Mutationen der DNA mit strukturellen Veränderungen, etwa einer veränderten Anzahl der Kopien eines Gens“, berichtet Schwarz. „Normalerweise enthalten unsere Zellen zwei vererbte Kopien eines jeden Chromosoms, ein mütterliches und ein väterliches Allel.“ In Krebszellen sei die Anzahl der Kopien oft drastisch erhöht oder ganze Bereiche des Genoms seien verloren gegangen.

Wie Schwarz und sein Team mithilfe von Hochleistungs-Rechensystemen und Cloud Computing herausgefunden haben, spielen solche Abweichungen in der Kopienzahl eine entscheidende Rolle in der veränderten Genexpression von Krebszellen. "Indem wir die DNA-Sequenzen des gesamten Genoms analysiert haben, konnten wir genau ermitteln, wie veränderte Kopienzahlen mit Punktmutationen zusammenwirken – und welchen Einfluss das wiederum auf die Expression eines bestimmten elterlichen Allels ausübt“, erläutert der Wissenschaftler.

Jedes der drei Milliarden Basenpaare einer Zelle kann mutiert sein

Schwarz hofft, dass die Arbeit von ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen das Verständnis für die Genregulation in Tumoren um einen wichtigen Aspekt erweitert. „Mit unserer Studie legen wir in jedem Fall den Grundstein für weitere Untersuchungen, die dabei helfen werden, die genetische Heterogenität von Tumoren noch detaillierter kennenzulernen“, sagt er.

Denn Fakt ist: Jedes der rund drei Milliarden Basenpaare, die ein menschliches Genom enthält, kann theoretisch mutieren. „Um herauszufinden, wie Zellen wirklich entarten, müssen wir wichtige von unwichtigen Mutationen unterscheiden“, sagt Schwarz. Und das geht nur mit einer sehr großen Zahl an Tumorproben. Und mit einer ähnlich dimensionierten Zahl an engagierten Forscherinnen und Forschern, wie sie sich im PCAWG-Konsortium zusammengeschlossen haben. Auf das noch unveröffentlichte Hauptpaper der gesamten Gruppe darf man schon jetzt gespannt sein.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.mdc-berlin.de/de/news/press/PCAWG

Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (02/2020)


Publikation:
“Genomic basis for RNA alterations in cancer”, Nature, DOI: 10.1038/s41586-020-1970-0

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