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Dienstag, den 12. November 2019 um 09:52 Uhr

Kleine RNAs verbinden Immunsystem und Gehirnzellen

Seit kurzem erst weiß man von der hohen genetischen Ähnlichkeit der psychiatrischen Erkrankungen Schizophrenie und Bipolare Störung, deren krankheitsspezifische Veränderungen in Gehirnzellen mehr als 70 Prozent Überschneidung zeigen. Dies betrifft vor allem die Expression von Genen, das heißt, deren Ablesen zum Zweck der Übersetzung in funktionelle Proteine. Eine Studie, die in Kooperation zwischen dem Institut für Pharmakologie und klinische Pharmazie der Goethe-Universität (Prof. Jochen Klein) und dem Institut für Neurowissenschaften der Universität Jerusalem (Prof. Hermona Soreq) entstanden ist, zeigt nun geschlechtsspezifische Unterschiede bei diesen Veränderungen auf. Ebenfalls verändert sind zelluläre Kontrollmechanismen auf der Basis von kurzen, körpereigenen Nukleinsäureketten.

Eine besondere Rolle spielen microRNAs, eine spezielle Gruppe dieser kleinen Nukleinsäuremoleküle, die für eine umfassende Kontrolle der Genexpression in allen menschlichen Zellen bekannt sind. Ist ein Gen das Ziel einer solchen microRNA, kann dies zu einer deutlichen Einschränkung seiner Expression führen. „Das Problem hierbei ist die enorme Vielfalt der Kombinationsmöglichkeiten“, sagt Sebastian Lobentanzer, der Erstautor der Publikation, die in der Zeitschrift Cell Reports erschienen ist. „Der Mensch besitzt etwa 2500 solcher microRNAs, und eine einzige kann hunderte, vielleicht sogar tausende Gene beeinflussen.“

Aus diesem Grund untersuchten die Wissenschaftler sowohl die Genexpression in den Gehirnen von Patienten als auch menschliche Nervenzellen in Zellkultur mit einer Kombination aus RNA-Sequenzierung und Bioinformatik. Dabei fiel auf, dass sich die Expression von Genen des Immunsystems bei Männern und Frauen unterscheidet, vor allem in Bezug auf Zytokine, die Botenstoffe der Immunzellen. Im Zellkulturversuch an männlichen und weiblichen neuronalen Zellen verwendeten die Forscher Substanzen aus dieser Klasse und stellten eine Wandlung der Nervenzellen zu Neuronen cholinergen Typs fest (eine Klasse von Nervenzellen, die den Neurotransmitter „Acetylcholin“ verwendet).

Durch die Sequenzierung der microRNAs zu mehreren Zeitpunkten während dieses Prozesses konnte daraufhin ein umfängliches Bild der microRNA-Schnittstelle zwischen Immunsystem und Nervenzelle erstellt werden. Die Wissenschaftler identifizierten 17 teils geschlechtsabhängig beteiligte Familien von microRNAs und erstellten ein umfassendes Netzwerk mit 12495 beeinflussten Genen. Durch ein mehrstufiges Auswahlverfahren wurden die einflussreichsten dieser microRNA-Familien bestimmt und in dezidierten Versuchen bestätigt. So wurden die beiden geschlechtsspezifisch exprimierten Familien mir-10 und mir-199 als Schnittstelle zwischen Zytokinen und cholinergen Funktionen identifiziert.

Psychiatrische Erkrankungen sind aufgrund ihrer hohen genetischen Komplexität und ihrer Unzugänglichkeit für herkömmliche Therapieformen ein wichtiges Feld für neue Therapieansätze. Die vorliegende Studie zeigt einerseits zelluläre Parallelen zu den schon lange bekannten, aber bislang unerklärten klinischen Unterschieden zwischen erkrankten Männern und Frauen auf. Andererseits könnten Mechanismen auf der Basis von kleinen RNA-Molekülen neue Wege weisen, indem sie eine Vielzahl krankheitsrelevanter Gene beeinflussen – ein vielversprechender Ansatz auf der Suche nach Alternativen zu traditionellen Psychopharmaka. „Studien wie die unsere, die eine Darstellung aller Interaktionen der microRNAs erst möglich macht, sind der erste Schritt auf dem Weg zur Entwicklung neuer Arzneistoffe“, so Lobentanzer.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.muk.uni-frankfurt.de/83262713/Kleine_RNAs_verbinden_Immunsystem_und_Gehirnzellen

Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main (11/2019)


Publikation:
Lobentanzer S, Hanin G, Klein J & Soreq H (2019). Integrative Transcriptomics Reveals Sexually Dimorphic Control of the Cholinergic/Neurokine Interface in Schizophrenia and Bipolar Disorder. CellReports. ElsevierCompany. 1–19. doi: 10.1016/j.celrep.2019.09.017.

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