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Mittwoch, den 05. Dezember 2018 um 06:02 Uhr

Neue Er­kennt­nis­se ver­bes­sern In­ter­pre­ta­ti­on von Pho­toio­ni­sa­ti­ons-Ex­pe­ri­men­ten in der Phy­sik

Erkenntnisse eines Forschungs-Teams unter Leitung der Universität Kassel erweitern Photoionisations-Experimente, die in der Experimentalphysik eine wichtige Rolle spielen. Die Ergebnisse, die kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, können weitreichende Relevanz für eine Vielzahl dieser Experimente haben, besonders an Freie-Elektronen-Lasern.

Die Photoelektronenspektroskopie gehört zu den wichtigsten und aufschlussreichsten Methoden der Experimentalphysik. Dabei werden Moleküle oder Atome, zum Beispiel in Groß-Forschungsanlagen, mit intensivem Licht beschossen; sie geben dadurch negativ geladene Elektronen ab. Die Analyse der emittierten Elektronen erlaubt Rückschlüsse auf die Struktur der untersuchten Materie, beispielsweise zum ursprünglichen Aufenthaltsort (Wellenfunktion) der Elektronen oder zur Chiralität von Molekülen. Üblicherweise verlassen die Elektronen das Atom oder Molekül symmetrisch in Bezug auf die Ausbreitungsrichtung, wenn das eingesetzte Licht eine in Relation große Wellenlänge hat; zunehmend asymmetrisch bei kurzer Wellenlänge. Es ist bekannt, dass es Ausnahmen von dieser Näherung für neutrale Materie gibt, bisher wurde es allerdings noch nie für Ionen bestätigt. Jetzt haben Experimente unter Leitung einer Gruppe von Kasseler Experimentalphysikern gezeigt, dass unter bestimmten Bedingungen auch bei großer Wellenlänge Elektronen aus ionischer Materie Impulse der Lichtteilchen (Photonen) aufnehmen und dadurch asymmetrisch ausgesendet werden. Spektroskopie an Ionen ist ein essentieller Bestandteil vieler nichtlinearer und zeitaufgelöster Studien, die durch Freie-Elektronen Laser stark erweitert wurden. Die neuen Erkenntnisse erweitern die Möglichkeiten solcher Versuche; vor allem aber sind sie künftig bei der Auswertung der anfallenden Daten zu berücksichtigen, um die Ergebnisse korrekt zu analysieren und interpretieren.

Das an Freie-Elektronen-Lasern genutzte Prinzip zur Erzeugung von ionischer Materie ist die mehrfache Absorption von Lichtteilchen in sehr kurzer Zeit (weniger als ein Millionstel einer Millionstelsekunde). Wenn mehrere solcher Photonen absorbiert werden, können ebenfalls mehrere Elektronen in schneller Abfolge herausgelöst werden. So entsteht nach und nach ionische Materie mit unterschiedlichen Ladungszuständen, die abhängig von der Anzahl der absorbierten Photonen sind. Diese sogenannte sequentielle (nichtlineare) Photoionisation ermöglicht daher die Untersuchung von ionischer Materie in einer revolutionären Art und Weise, die erst durch Freie-Elektronen-Laser (FEL) zugängig gemacht wurde.

Wenn die Wellenlänge eines Photons deutlich größer ist als der absorbierende Teil der Materie, können die resultierenden Elektronenemissionen normalerweise durch eine Dipolwechselwirkung beschrieben werden, das heißt, sie werden symmetrisch emittiert. Es gibt jedoch verschiedene Umstände, die zu einer asymmetrischen Streuung führen. Ein Beispiel ist eine relativ kurze Wellenlänge des Photons, weil es dann einen „Stoß“ an das Elektron abgibt. „Dies kann man sich wie einen Korken vorstellen, der sich bei langen Wasserwellen auf dem Ozean nur auf und ab, aber nicht vorwärts oder rückwärts bewegt“, veranschaulicht Dr. Markus Ilchen, Nachwuchsgruppenleiter an der Universität Kassel und Hauptautor der Studie. „Werden die Wellen sehr klein, werden sie dem Korken auch einen Impuls in Vorwärtsrichtung mitgeben.“

Einen ähnlichen Impulsübertrag haben nun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines internationalen Konsortiums, geleitet von der Universität Kassel, dem European XFEL und DESY (beides in Hamburg), in ionischer Materie, die durch sequentielle Photoionisation erzeugt wurde. Die Forschungsgruppe nutzte erstmals einen speziellen Operationsmodus des Freie-Elektronen-Lasers FERMI in Italien, um Argon-Atome in der Gasphase mit extremer Intensität zu bestrahlen (Petawatt pro cm²) und so effizient winkelaufgelöste Spektroskopie an einfach geladenem Argon realisieren zu können. Die Wellenlänge der genutzten Strahlung war hierbei so lang, dass die Elektronen eigentlich symmetrisch hätten streuen müsste. Der dennoch klar zu sehende Impulsübertrag hatte aber eine asymmetrische Emission im neutralen und sogar noch stärker im ionischen Argon zur Folge. Möglich wurde diese Untersuchung durch die gezielte Ausnutzung eines Minimums in der Wechselwirkungswahrscheinlichkeit zwischen dem Licht und den Atomen (einem sogenannten Cooper-Minimum), das eine Art Zoom in den Impulsübertrag erlaubt.

Die Wissenschaftler erwarten durch die neuen Erkenntnisse eine genauere Beschreibung von Photoionisation bei großen Intensitäten, aber auch vertiefende Anwendungen im Bereich der Festkörperphysik, der Astrophysik, sowie zeitaufgelöster Studien von z.B. chiraler Materie. Die Untersuchung von Chiralität ist Gegenstand eines Sonderforschungsbereichs der Universität Kassel; dabei wird die Händigkeit, also der spiegelbildliche Aufbau von Molekülen z.B. mittels asymmetrischer Photoelektronenemission untersucht.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.uni-kassel.de/uni/aktuelles/meldung/post/detail/News/neue-erkenntnisse-verbessern-interpretation-von-photoionisations-experimenten-in-der-physik/

Quelle: Universität Kassel (12/2018)


Publikation:
Originalartikel: M. Ilchen, G. Hartmann, A. Knie et. al. Nature Communications Volume 9, Article number: 4659 (2018)
https://www.nature.com/articles/s41467-018-07152-7

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