Als Modellsystem verwendeten die Wissenschaftler den sogenannten Motility Assay. Bei diesem Test werden Proteine, sogenannte Aktinfilamente, auf einen „Teppich“ aus Motorproteinen gegeben. Die Filamente binden an die Motorproteine und werden von diesen weiter transportiert. „In der Regel fahren die Filamente auf den Motorproteinen in wellenartigen Clustern“, sagt Lorenz Huber, Doktorand in Freys Team und zusammen mit Ryo Suzuki und Timo Krüger Erstautor des Papers. Experimente in Bauschs Labor zeigten, dass geringfügige Veränderungen der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen mithilfe eines subtilen Eingriffs, durch den die Filamente nach unten gedrückt werden, nicht nur die Häufigkeit, sondern auch die Art der Wechselwirkungen modifiziert, sodass Muster entstehen, die an sich kreuzende Ameisenstraßen erinnern. Das zeigt, dass sehr kleine lokale Modifikationen das System auf makroskopischer Ebene grundlegend ändern können. „Gewöhnlich wird davon ausgegangen, dass auf größeren Skalen kleine Details nicht mehr von Belang sind – in diesem System allerdings wirken sich kleine Unterschiede immer stärker aus, je weiter man aus dem System hinaus zoomt“, sagt Huber.
Den Wissenschaftlern ist es gelungen, ein theoretisches Modell zu entwickeln, das die Bewegung der Filamente abbildet und die experimentellen Ergebnisse widerspiegelt. Dabei zeigte sich, dass es einen Parameterbereich gibt, in dem sowohl Wellenmuster als auch Ameisenstraßen entstehen können – und in dem beides stabile Zustände sind. „Mit dieser Bistabilität haben wir eine ganz neue Phase der Materie identifiziert“, sagt Frey. In weiteren Laborexperimenten gelang es den Wissenschaftlern, beide Zustände gleichzeitig zu erzeugen. „Das sieht sehr faszinierend aus: Die polaren Wellen fahren über die Ameisenstraßen und „löschen“ diese dabei, hinterlassen aber gleichzeitig eine Art Moräne, die dann wieder zur Ameisenstraße wird. So entsteht ein sehr interessantes und dynamisches Wechselspiel zwischen den beiden Mustern“, sagt Huber.
Aktive Systeme haben demnach die einzigartige Fähigkeit, bei identischen Anfangsbedingungen unterschiedliche Muster auszubilden. Diese Erkenntnis hat nach Ansicht der Wissenschaftler tiefgreifende Auswirkungen auf mehrere Forschungsbereiche und könnte neue Einblicke in biologische Prozesse ermöglichen. „Es ist inspirierend darüber nachzudenken, wie ein biologisches System aus einem gegebenen Set an Bausteinen gleichzeitig verschiedene Arten von Ordnung erzeugen kann“, sagt Huber.
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https://www.uni-muenchen.de/informationen_fuer/presse/presseinformationen/2018/frey_huber_aktivemuster.html
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München (07/2018)
Publikation:
Emergence of coexisting ordered states in active matter systems
Authors: L. Huber, R. Suzuki, T. Krüger, E. Frey, and A.R. Bausch
Science 2018